Birgit Wiederstein trinkt Wein aus einem Glas an einem BrunnenWeine die ich liebe sind subtil, elegant, vielschichtig,…

Es gibt Weine die sind wie ein sommerliches Rockkonzert unter freiem Himmel:

laut, fordernd, betäubend und nach einem Tag hat man noch immer einen „Gaumen – Tinnitus“

Es gibt Weine die sind wie ein „Sitz – Konzert“ im kleinen Rahmen:

unmittelbar – ohne Verstärkung, sanft, subtil, präzise und nuanciert, wenn hier ein Ton nicht ganz getroffen wird, bemerkt man das und Unfeinheiten gehen nicht im großen Getöse unter.

Beides kann beeindrucken, beides kann lustig sein, beides kann berühren und in Erinnerung bleiben, beides kann schön und doch ganz unterschiedlich sein.

Ich bin auf der Suche nach diesen subtilen, eleganten Eindrücken, nach feinen Nuancen die manchmal unvermittelt direkt daher kommen und manchmal darf man auch die Entwicklung beobachten, die ohne eigenes Zutun ganz von alleine passiert und beeindruckt. Ich mag unverfälschte, geradlinige Weine, die überraschen.

Ich sehe meine Aufgabe bei der Weinwerdung als Begleiterin an. Die Natur ist in sich ein schlüssiges System und ich als Winzerin kann ein Teil davon sein. Ich bin Beobachterin, versuche zu verstehen und auf meine Sprache zu übersetzen. Das ist wie ein Gespräch zwischen mir und den Reben, bei dem viele Fragen aufkommen und nur selten eine Antwort folgt.

Arbeit im WeingartenWenn ich wirklich kommunizieren möchte kann ich das nur unmittelbar tun mit voller geistiger und physischer Präsenz. Ich muss als Winzerin und Betreuerin der Rebstöcke auch selbst den Wind, den Regen, die Sonne und im Winter den Schnee und die Kälte spüren, wenn ich verstehen will. Ich habe für rund 20.000 Rebstöcke die Verantwortung übernommen, dass es ihnen gut geht und die Reben so Lust haben für tolle Nachkommen zu sorgen. Denn die Rebe erzeugt nur Trauben, weil sie sich vermehren will und dafür die Kerne in den Beeren optimal versorgen muss. Ich als Winzerin verwende aus Sicht der Rebe das Beiwerk, den Mantel rund um die wertvollen Kerne… Sie merken schon beim Lesen – „Ja, ich halte nicht viel von kernlosen Trauben!“ – und das wissen auch meine Reben…

Mir kam vor einigen Jahren zu Ohren, dass staatliche Geheimdienste ein großes Interesse daran haben, die Wahrheit von Falschaussagen zu unterscheiden. Das ist jetzt noch kein großer Wurf und hat mit dem Weinmachen auf den ersten Blick auch gar nichts gemeinsam. Aber! Bei Versuchen für Lügendetektoren wurden z. B. Stresspotenziale in Zimmerpflanzen gemessen und zwar wenn man neben diesen laut aussprach, dass man sie demnächst entfernen und wegschmeißen oder um schneiden werde, stieg der Stresspegel der Pflanzen. Aus dieser Erkenntnis ergab sich für mich, dass bei uns in den Weingärten, im Keller und bei der Arbeit nicht geflucht werden darf. Ob das nun Unsinn sei oder nicht – ist eigentlich egal. Als Beispiel, wenn wir z.B. im Auto sitzen und der Fahrer des hinteren Autos meint, wir würden uns in seinem/ihren Sinne nicht korrekt im Straßenverkehr verhalten, dann merken wir das; wir brauchen weder Lippen lesen können noch eindeutige Handzeichen gesehen haben; wir merken wenn geflucht wird und wenn uns jemand unsympathisch ist, kann man davon ausgehen, dass es sich umgekehrt genauso verhält. Daher kommt meine Folgerung, dass es ganz wichtig ist mit Freude an die Arbeit mit den Reben heran zu gehen. Ganz pragmatisch betrachtet, auch wenn diese Betrachtung in die Kategorie „emotionaler Humbug“ fällt für einen selbst, der im Weingarten arbeitet macht es schon einen Unterschied ob man mit Freude oder Griesgram an die Arbeit geht.

WeinrebenEin weiterer Aspekt meines Weinverständnisses gründet sich in der Erfahrung, dass jedes Kind das zur Welt kommt seine ureigenen Charakterzüge mitbringt. Der Ausspruch, dass man Kindern zuerst Wurzeln geben soll und wenn sie größer werden soll man ihnen Flügeln verleihen ist schön gesagt, wird versucht zu verstehen und ist doch so schwer umzusetzen. Auch in der Weinwerdung ist es der Versuch zu verstehen, gewähren zu lassen und einzugreifen wenn unbedingt notwendig. Man gibt als Winzerin die Richtung vor, man hinterlässt seine eigene Handschrift. Ich treffe tagtäglich Entscheidungen zum Wohl meiner Weinstöcke, ob es nun genug oder zu viel regnet, wie auf Trockenheit, Feuchtigkeit und Hagel reagiert wird. Ich treffe Entscheidungen und gebe eine Richtung vor. Genau hier versuche ich zu verstehen und empfinde die Rebe als oftmals wortkargen Gesprächspartner und das Wetter ist sowieso clownesk.

All das sind Ideale die ich aufrichtig empfinde bei meiner Arbeit, Gedanken die mich im Weingarten begleiten und jeder meiner Weine ist für sich eine Darstellung dieser Ideale und Ausdruck meines Verständnisses für die Reben und deren Bedürfnisse. Daher hat auch jeder meiner Weine einen eigenen Namen erhalten, um dem Versuch, den Lagen, den Sorten und deren Charakteristika, Rechenschaft zu tragen.

Wirklich wichtig ist mir die Handarbeit. Was ich vor allem lernen musste durch meine Entscheidung Winzerin zu werden war das Annehmen. Sobald die eigene Werkbank unter freiem Himmel steht kann man nicht alle Geschicke leiten sondern man muss manchmal auch annehmen können. Das Schöne dabei ist, dass kein Jahr dem anderen gleicht und nicht jede meiner Rebsorten und meiner Weingärten ist gleichermaßen betroffen. Dies gilt in positiven, genauso wie in mühsamen Belangen. Nicht nur die Winzerin hinterlässt ihre Unterschrift, auch die Wetterkapriolen unterschreiben jeden Jahrgang aufs Neue.

Daher kann ich auch nicht von guten und schlechten Jahrgängen erzählen. Jahrgänge sind für mich auch ein Spiegel des Verständnisses des Winzers und manchmal glücklicher oder unglücklicher Wetterereignisse – aber immer mit einem Erkenntniszugewinn gekoppelt und hinter jedem Jahrgang steht ein Jahr ehrlicher Handarbeit.

An all jene, die bis hier her gelesen haben, schicke ich einen herzlichen Dank fürs Interesse.